- Unseren Weg finden:
Eine Mutter und ihre Tochter lernen mit Asperger Syndrom zu leben
Liane Holliday-Willey

Schaue ich zurück, hätte ich, lange bevor es mir schließlich bewußt wurde, gemerkt haben müssen, daß meine siebenjährige Tochter eine Entwicklungsstörung hat. Ich erkannte ihre frühen Verzögerungen, die Frustrationen, die sie erlebte, die dranghaften Verhaltensweisen, die sensorischen Integrationsprobleme, den Widerstand gegen Veränderungen und die rasche Wut. Irgendwie habe ich diese Verhaltensweisen fehlinterpretiert. Nicht so sehr, weil ich meine Tochter zu sehr liebte, um ihre Schwierigkeiten zu sehen, sondern weil ich mich so sehr ihrer Welt verbunden fühlte. Simpel gesagt, es erging ihr, wie es auch mir erging, nur übertragen auf die Zeitpläne und Aktivitäten ihres Alters. Sie hatte mein Temperament, meine Entschlossenheit, sogar meine Eigenheiten, meine Vorlieben und Abneigungen.

Doch trotz unserer geteilten Auffassung von der Welt hätte ich wissen müssen, daß meine Tochter professionelle Hilfe benötigte, denn ich brauchte sie auch. Ich hatte schon immer gewußt, daß ich eigenartig und seltsam war und zu Einsiedlertum und exzentrischem Verhalten neigte. Ich wußte auch, daß mein Leben eines voller Ungewißheit, Verwirrung und wie von Wolken bedecktem Bewußtsein war; ein surrealer Lauf durch das Leben, das typischerweise Enttäuschung, Verzweiflung, Unsicherheiten und Selbstwertprobleme beinhaltete. Ich denke, ich wollte niemals zugeben, daß meine Tochter sich meiner Realität würde stellen müssen. Ich glaube, ich dachte, wenn ich sie nur dicht und sicher bei mir behielte, dann würde niemand je bemerken, daß sie an den gleichen Problemen litt, wie ihre Mutter.

Manchmal frage ich mich, ob ich nicht vielleicht Gefallen daran gefunden hatte, daß meine Tochter mir so ähnlich war, weil ich dadurch jemanden hatte mit dem ich meine verzerrte Welt teilen konnte. Durch sie hatte ich eine vertraulichen und wissenden Freund, jemanden, der mich verstehen konnte, vielleicht das erste Mal in meinem Leben. Doch, trotz allem denke ich, ich wußte die Dinge würden eines Tages meiner Kontrolle entrissen werden. Ich hätte wissen müssen, daß andere anfangen würden ihre Andersartigkeit zu bemerken, so wie sie auch meine entdeckt hatten. Sieben lange Jahre nachdem sie geboren war, hatte ich schließlich eingesehen, daß ich meiner Tochter helfen mußte, Hilfe zu bekommen und ‘gesund’ zu werden. Ich fürchtete, wenn ich dies nicht tat, dann würde sie mir folgen in eine Welt, die in meiner Vorstellung eine Welt nur wenige Schritte von einer Geisteskrankheit entfernt war. Damals wußte ich noch nicht, was ich heute weiß.

Dem Himmel sei Dank, daß ich eine Freundin traf, deren Sohn Asperger Syndrom hatte. Dank ihr, begann ich mehr zu lernen über dieses autistische Schattensyndrom. Ich wurde besessen, alles darüber zu lernen, was es gab, und verschlang Forschungsarbeiten und Bücher mit mehr Leidenschaft als ich für die Studien für den Doktortitel entfesselt hatte. Innerhalb von Wochen wußte ich, daß meine Tochter und ich, ganz zu schweigen von unserer ganzen Familie, dabei waren das Blatt zu wenden. Ich wußte es war etwas am Horizont, daß große Hoffnungen und Verheißungen versprach. Und ich hatte recht.

Innerhalb weniger Monate erhielt meine Tochter eine formelle Diagnose für Asperger Syndrom, und als ich sie bei den Tests beobachtete, als ich hörte, wie sie dieselben Antworten gab, die ich gegeben hätte, da wußte ich, ohne daß es mir jemand sagen mußte, daß ich an derselben Störung litt. Aber es ist eine Störung, die ich mit offenen Armen Willkommen heiße, denn in meiner Vorstellung ist es keine Störung, sondern eine Andersartigkeit, eine Einzigartigkeit. Ich kann die Erleichterung nicht ausdrücken, die ich empfand, als ich schließlich ohne Zweifel realisierte, daß meine Tochter und ich nicht an einer Geisteskrankheit oder einer gespaltenen Persönlichkeit litten oder etwas Ähnlichem. Wir haben Asperger. Damit können wir leben! Wir können wachsen und erfolgreich sein, unsere Ziele und Träume erreichen und wir können unser Leben weiterführen mit Optimismus und Hoffnung.

Jetzt, da ich über Asperger Syndrom Bescheid weiß, fühle ich mich frei. Ich fühle, daß mir die Erlaubnis erteilt worden ist, mich selbst so auszudrücken, wie ich bin, nicht die Pflicht, zu versuchen, so zu sein, wie die ‘normale’ Bevölkerung mich gerne hätte. Was für eine Erleichterung, mich nicht länger sorgen zu müssen, ich litte an einer echten geistigen Verwirrung, die mich möglicherweise eines Tages in eine Welt von Dunkelheit und Angst schicken würde. Wie aufregend die Erkenntnis, daß ich ganz einfach Dinge anders sehe, anders auffasse, anders empfange als Andere, und daß das so in Ordnung ist. Es ist meine Normalität. Und jetzt weiß ich, daß es auch die Normalität meiner Tochter ist. Jetzt weiß ich, wir können dich fragen, ‘Was hast du damit gemeint?’, und müssen uns deswegen nicht dumm vorkommen. Wir können es dir erklären, daß wenn wir dich in einem Gespräch unterbrechen, oder wenn wir etwas sagen, was dir unpassend oder sogar unverschämt scheint, daß wir es nicht in der Weise gemeint haben, wie es bei dir angekommen ist. Wir können unser Haupt heben und ganz einfach jemandem mitteilen, den es interessiert, ‘Es tut mir leid, aber dieses Geräusch/helle Licht/sensorische Gemisch/diese Menschenmenge...ist zuviel für mich, ich muß hier ‘raus!’ und wir brauchen uns nicht seltsam vorzukommen, oder merkwürdig oder sozial untauglich zu fühlen. Wir können sogar hervorheben, daß wir eine Asperger Störung haben, oder aber wir können es lassen. Aber, gleich was wir tun, wir werden uns nicht länger dafür schämen, wer wir sind, wir werden uns selbst niemals dafür hassen, daß wir nicht so in das System hineinpassen wie alle Anderen, und wir werden uns niemals selbst davon überzeugen, daß wir irgendeines Anderen Pfad nachlaufen müssen.

Und für diejenigen, die uns kennen und lieben, hat sich ein neues Buch geöffnet, das die Geschichte einer Mutter und ihrer Tochter erzählt, oder vielleicht sogar einer Oma oder eines Opa, einer Cousine oder eines Cousin oder Zweien, die eine gemeinsame, besondere Welt teilen mit genügend Platz hat für all jene, die interessiert sind an Besuchen, längeren Aufenthalten, und vielleicht sogar einem Aufenthalt für immer. Ähnlich, wie ich zuversichtlich bin, daß meine anderen Kinder und mein Mann, sowie andere Familienmitglieder oder Freunde, die uns kennen und lieben, immer sanft unsere Hand halten werden, wenn wir versuchen, in ihre Welt hinüberzugelangen, denn sie werden bewaffnet sein mit Informationen, die wir vor einer Generation noch nicht hatten, die Information, daß Asperger Syndrom nichts ist, vor dem man Angst zu haben braucht, oder das einen verwirrt oder gar abstößt --- es ist ganz einfach, und für uns sowieso, eine andere Art zu leben, genauso reich und lohnend, wie die jedes anderen Menschen auch, es ist einfach unsere Besonderheit.

c Liane Holliday Willey, EdD

This essay was originally printed on the OASIS web page

übersetzt von: Diana Leineweber
mit freundlicher Genehmigung von Liane Holliday Willey.

Liane hat auch Bücher geschrieben:
Pretending to be Normal: Living with Asperger's Syndrome und
Asperger's Syndrome in the Family

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