Dies ist die Übersetzung eines Artikels, der im schwedischen Psychologie-Journal "PsykologTidningen", Ausgabe Nr. 16, 1996 veröffentlicht worden ist.
In der Juni-Juli
Ausgabe 1996 von Psykologtidningen (Dem Journal des schwedischen Psychologie
Verbundes) bewertet Cecilia Hector mein Buch über meine Kindheit und mein
Leben als Erwachsene mit einer autistischen Behinderung, Ein
richtiger Mensch sein. Die Bewertung ist recht lang, und im Ganzen gesehen
sieht Hector es sher positiv, was möglicherweise viele Leser dazu bringen
mag, mein Buch zu erwerben. Ich sollte wohl zufrieden darüber sein.
Wie auch immer, ich bin nicht zuforeden.
Der Grund dafür ist, daß Hector es fertigbringt, mein Buch zu lesen
und zu wertzuschätzen -- und dennoch versteht sie gerade einige der absoluten
Kernpunkte nicht. Des weiteren sind ihre Schlußfolgerungen über meine
Behinderung schlichtweg falsch.
Zu Beginn der Bewertung schreibt Hector
in einem sehr schmeichelhaften Vergleich mit Joanne Greenberg's I Never Promised
You a Rosegarden (Ich habe Dir nie einen Rosengarten versprochen)
daß ich "die innere Welt einer schwer gestörten Person beschreibe".
Da das Buch eine Autobiographie ist, verstehe ich das so, daß sie meint,
daß ich schwer gestört bin und oder/war. Dagegen erhebe ich energisch
Einwände. Sicher, ich bin behindert, -- ich habe eine Behinderung -- eine
Störung in meiner Hirnfunktion. Aber ich bin ganz sicher nicht schwer gestört,
noch war ich es jemals. High-Functioning Autismus und Asperger Syndrom sind
keine "schwere Gestörtheit" -- sie sind Behinderungen mit einer
biologischen Ursache. Dennoch können einige behinderte Menschen natürlich
auch zusätzliche Probleme "noch obenauf" zu ihrer ursprünglichen
Behinderung haben..
Hector setzt die Bewertung fort mit einer
Beschreibung meines nicht-reaktiven Funktionierens als ein Stadium des "psychotischen
Rückzugs". In dem Buch selbst habe ich jedoch eindrücklich die
Schwierigkeiten beschrieben, die ich durch ein nicht korrekt arbeitendes Nervensystem
habe -- daß ich neurologisch und psychologisch atypisch bin. Auch habe
ich beschrieben, was es für einer Anstrengung bedarf, damit zu leben, und
daß es zu der Notwendigkeit führt, sich von Zeit zu Zeit aus der
Welt "auszustöpseln". Das ist kein Stadium "psychotischen
Rückzugs".
Es ist meine Meinug, daß Konzepte
wie Psychose und Neurose nicht einmal richtig anwendbar sind auf Personen mit
High-Functioning Autismus, da wir essentiell so anders sind, daß nur sehr
wenige Experten überhaupt genügend Vorstellungskraft (und Mut) besitzen,
sich ein Bild unserer Psyche zu machen.
Von dem, was Hector in Ein
richtiger Mensch sein liest, kommt sie zu dem Schluß, daß
es nicht sinnvoll ist Interpretationen zu machen über infantile Wünsche,
wenn der Klient noch in einem "Vor-Konflikt" Stadium ist. Was Hector
total übersieht, ist, daß ich nicht in einem Vor-Konflikt Stadium
bin, nicht einmal in einem "Konflikt" Stadium, und daß ihre
theoretische Grundlage ungenügend ist, um meine zusammengefassten Schwierigkeiten
zu erklären. Würde ich in einem Sessel in Hector's Büro landen,
dann bin ich mir ziemlich sicher, daß sie wie meine vorherige Therapeutin
glauben würde, ich sei im "Konflikt" Stadium.
Die Wahrheit ist, daß ich, eine Person
mit High-Functionig Autismus/Asperger Syndrom, nicht die gleichen psychologischen
Stadien durchlebt habe, wie ein normales Kind sie durchlebt. Aber das hat
nicht die Defizite in meinem Reifungsprozess hervorgerufen, die es in der Psyche
eines normalen Kindes verursacht hätte, da ich nicht die Triebe, Funktionen,
Bedürfnisse und Wünsche hatte, die ein normales Kind hat.
Ich sage nicht, daß ich keine Defizite
in meinem Reifungsprozess habe -- die habe ich sicherlich! Aber wenn man diese
verstehen möchte (oder vielleicht sogar sehen), dann muß man bereit
sein, seine Theorien beisete zu schieben und auf ganz unbebautem Territorium
zu stehen.
Obwohl Hector bemerkt, daß Interpretationen
infantiler Wünsche erniedrigend sein können, hält dies sie nicht
davon ab, solche Interpretationen in ihrer Bewertung zu geben. Bezüglich
meiner Vorliebe gebogener Dinge schreibt sie: "Für mich sieht dieses zwanghaft
stereotype Verhalten wie eine Manifestation der Sehnsucht nach den 'gebogenen'
Formen der Mutter aus, die aus verschiedenen Gründen für sie unerreichbar
war".
Für mich sieht diese Interpretation
wie eine Manifestation der großen Angst aus, die viele Menschen allem
gegenüber fühlen, was ihnen unbekannt, was anders ist, vor dem, was
nicht einfach zu verstehen ist mit den gewohnten und bequemen Gedankengängen.
Eine Furcht vor den Dingen die -- wenn man sie annehmen würde -- einen
zwingen würden, seine Position neu zu überdenken, und die Welt aus
einem neuen Blickwinkel zu betrachten.
Auch sehe ich Hectors Interpretationen
(sie schlägt noch weitere vor in der Bewertung) als eine Manifestation
der Furcht, die Hoffnung zu verlieren. Psychodynamische Theorie scheint eine
Hoffnung anzubieten, die essentiell ist für ihre Fans. Es ist das Versprechen
einer Cinderella Fee für Erwachsene , wobei der Therapeut zur guten Fee
wird.
Aber wenn die Klientin eine autistische
Behinderung mit Ursache in einem nicht intakten Nervensystem hat, dann wird
die Klientin nicht auf den Ball gehen, noch wird sie den Prinzen treffen. Der
Therapeut kann nicht Schlag Zwölf verschwinden, mit erfülltem Zweck.
Ich hege den Verdacht, daß es eine zu schwierige Sache für die "gute
Fee", um damit klarzukommen -- dieser Realität darf keine Existenzberechtigung
gegeben werden.
Bezüglich meines Dranges zu beißen
schreibt Hector: "Der Leser ist gezwungen, sich bei Interpretationen dieses
merkwürdigen Verhaltens zurückzuhalten, da wir nichts über Gerland's
erste Lebensmonate wissen." Es scheint Hector's Aufmerksamkeit entgangen
zu sein, daß ich detailliert beschrieben habe, wo der Drang zu beißen
herkommt: Die Hypersensibilität meiner Zähne verursacht durch ein
fehlerhaftes Nervensystem, das sensorische Spielereien mit mir trieb. Aber diese
Erklärung bedeutete natürlich wieder, daß kein psychodynamischer
Knoten zu lösen sei, um meinen Beißdrang verschwinden zu lassen.
Also würde ich wahrscheinlich, entgegen
aller Wahrscheinlichkeit, zu dem Ball eingeladen werden, dann würde ich
wahrscheinlich den Prinzen beißen -- kaum, was die gute Fee im Sinn hätte
(Aber, oh, was gäbe das wieder neue Möglichkeiten der Interpretation!)
Ich glaube. daß psychodynamische
Therapie sehr gut ist für einige Menschen, die auch davon profitieren können.
Aber diese Theorie zu übertragen und anzuwenden auf Menschen mit einer
autistischen Behinderung ist ein großer Fehler. Wenn eine autistische
Person von irgendeiner Therapie profitieren soll, dann muß der Therapeut
gut informiert sein über den heutigen Erkenntnisstand in Sachen Autismus.
Und man sollte bitte im Kopf behalten, daß diese Therapie den Klienten
nicht weniger autistisch macht. Erweitertes Selbst-Verständnis kann
allerdings zu besseren Kompensationen für die Schwierigkeiten führen,
was im Gegenzug wieder einige Symptome abschwächen kann und den Autismus
somit weniger behindernd macht. Tatsächlich kann für einige von uns
die psychodynamische Theorie hilfreich sein, das Verhalten anderer Mensche zu
begreifen, daß uns oft unbegreiflich erscheint.
Ich glaube nicht, daß alle Experten,
die mit dem psychodynamischen Modell arbeiten solche "Fans" sind,
wie ich es beschrieben habe. Im Gegenteil, ich weiß , daß
sie das nicht sind. Wenn ein Leser glaubt, ich habe eine negative Einstellung
zur psychodynamischen Therapie im allgemeinen, dann entschuldige ich mich dafür.
Abschließend, ich bin gegen den beschriebenen
Gebrauch des psychodynamischen Modells. Er ist beleidigend und bedeutungslos.
Des weiteren verwehrt er Menschen mit High-Functioning Autismus die Aussicht
auf adäquate Hilfen, ihre Schwierigkeiten besser zu verstehen und damit
umzugehen. Wenn Psychotherapeuten das psychodynamische Modell als einziges Werkzeug
haben, dann führt das zu dem, was in folgendem Aphorismus zum ausdruck
kommt: "Wenn das einzige was du hast ein Hammer ist, dann wird alles wie
ein Nagel aussehen."
Ich fürchte, daß Hector's Art
zu interpretieren in ihrer Bewertung zur weiteren Verbreitung von Mißverständnissen
über Autismus beiträgt, und das dies, im Gegenzug dazu führt,
daß weniger Menschen mit autistischen Behinderungen angemessen behandelt
werden.
Gunilla Gerland, Schriftstellerin
© Copyright 1996 Gunilla Gerland
übersetzt von Diana Leineweber, mit freundlicher Genehmigung von Gunilla Gerland