Im Gymnasium!

 

Comprehensive School:
Meine Eltern fuhren mich also nach England, sogar noch ohne daß ich vorher schon eine Gastfamilie hatte, bei der ich wohnen konnte; all das regelte sich erst vor Ort in England (zum Glück). Ich kam auf eine Comprehensive School, mußte mir eine Schuluniform besorgen, eine sehr interessante Erfahrung, und kam dort in die 'lower sixth form', die untere sechste Klasse, was dem zwölften Schuljahr entspricht.
Dort wurde ich recht freundlich aufgenommen, und einige der Mitschülerinnen waren das gesamte halbe Jahr mit mir zusammen, allerdings nur in der Schulzeit, in der Freizeit habe ich nie eine von ihnen getroffen.
Hier war ich etwas 'besonderes', ich war 'the crazy German', dem man viele Mißverständnisse verzeiht, weil er sowieso nicht hierher gehört. Ich habe mich in dieser Schule zugehöriger gefühlt, als an allen anderen deutschen Schulen zuvor (ausgenommen Grundschule, wo es mir noch nicht so bewußt war, daß ich ein wenig 'anders' war).

Nach diesem halben Jahr in England, wurde mir mein Mangel an Kontakten noch viel bewußter; jetzt wußte ich, was mir fehlte, jetzt noch deutlicher als je zuvor, merkte ich, daß mir irgendetwas fehlte, daß ich auf andere vielleicht merkwürdig wirkte, vielleicht auch abweisend, ich weiß es nicht genau. In England hatte ich während der Schulzeit bei den anderen gesessen, habe ihnen zugehört, eventuell mitgeredet, wenn es meiner Ansicht nach zum Thema passte, und während der Freizeit habe ich mich einer Gemeinde angeschlossen, die eine ganz nette Jugendgruppe hatte; dort bin ich oftmals kilometerweit hingelaufen (auch sonst lief ich dort sehr viel, immer mit einem Stadtplan in der Hand, da ich gerne unabhängig blieb). Wenn ich es mir in den Kopf gesetzt hatte, jemanden zu besuchen, schnappte ich mir meinen Plan, und lief, wenn nötig über 10 Meilen am Stück, ohne zu wissen ob derjenige überhaupt zu Hause war; meistens hatte ich aber Glück, wenn nicht, wartete ich, denn zurück hätte ich es nicht geschafft. (So etwas habe ich aber auch in Deutschland schon gemacht, nur nicht zu Fuß sondern mit dem Fahrrad.)
Ich hatte mir einen Plan gemacht, welche Strecke ich in welcher Zeit schaffe, mit welcher Durchschnittsgeschwindigkeit ich also laufe, und dann detailliert aufgeschrieben, wie schnell ich welche Strecken schaffen würde. Stundenlang habe ich mit solchem Plan zugebracht.

[Solche Pläne habe ich haufenweise gemacht, Statistiken, Pläne, Listen gehören auch jetzt noch zu meinen favorisierten Freizeitbeschäftigungen. Eine zeitlang habe ich so gut wie jeden Tag damit zugebracht, aufzuschreiben, welche Wellensittiche welche Erbfaktoren besitzen, welche Junge schon daraus gekommen, sind, was das wiederum für Rückschlüsse auf Elternfaktoren erlaubt (bei rezessiven Erbgängen), welche Junge noch statistisch zu erwarten sind im Laufe der Zeit, etc. etc...... eine detaillierte Liste welche Internetanbieter bei welchen Tarifen und welchen Takten wie teuer sind, eine Liste über alle Star Trek Episoden der Classic Serie mit englischen und deutschen Folgenbezeichungen - dasselbe für die dutzende an Star Trek Romanen, die ich habe, etc. etc. sowas in irgendeiner Form mache ich fast täglich. Eine meiner neuesten *Marotten* war, in eine Deutschlandkarte, die mit Folie überzogen ist, sämtliche Forenmitglieder örtlich zuzuordnen mit Folienstiften, oder sämtliche Straußenfarmen in Deutschland regional einzuzeichnen ... ]


Von den schulischen Anforderungen war die Schule in England zwar recht anspruchsvoll, aber an mich wurden nicht die gleichen Anforderungen gestellt, wie an die anderen Schüler, z.B. mußte ich nicht alle Hausaufgaben machen. Als Fächer hatte ich dort: Biologie, was ich klasse fand (In einem Aufsatz über die Leber hatte ich als einzige aus dem ganzen Kurs eine eins (bzw. ein "A") :-)), außerdem Englisch (Shakespeare's King Lear, Alan Bennett's Talking Heads, ....), was recht interessant war, und wo ich für gute aussprache des Shakespeare-Englisch gelobt wurde, und Kunst, was für mich häufig recht neu war (einige Techniken hatte ich noch nie ausprobiert). Zusätzlich gab es General Studies, was Kochen, Wirtschaftskunde, Technik, 3 Pre-driving-lessons, und anderes mit einschloß.

 

Gymnasium 2 - nochmal Klasse 12:

Also, wieder zurück in Deutschland, kam ich wieder in die zwölfte Klasse. 'Vor' England hatte ich als Leistungskurse Biologie und Englisch, das war leider nicht möglich in der Stufe drunter, also nahm ich 'nach' England Biologie und Erziehungswissenschaften. Als Abiturfächer hatte ich dann eben noch Englisch schriftlich, und Mathematik als mündliches Abifach (was sich als sehr gute Wahl herausstellte).
In Biologie hatte ich mehrmals Höhenflüge - besonders die Genetik und Stoffwechselphysiologie hatten es mir angetan (Neurologie hatten wir zu der Zeit leider nicht, sondern schon in der 11), wohingegen ich die Verhaltenslehre und Evolution nicht so mochte.
In der zwölften Klasse wurde mir auch mehrmals geraten, eine Psychotherapie zu machen. Auch der Hausarzt riet mir dazu; das Rezept wurde ausgestellt auf 'depressives Syndrom und Verhaltensstörungen'. Damit fing ich aber erst in der dreizehnten Klasse an. Auf diese Therapie werde ich nicht näher eingehen, nur, daß es nichts gebracht hat, und ich nach einem Jahr wieder damit aufgehört habe [In manchen Therapiestunden durfte ich am Laptop der Therapeutin schreiben, weil ich mündlich nicht konnte]. Allerdings habe ich während dieser Zeit, nicht durch die Therapie, sondern quasi parallel dazu, herausgefunden, woher meine Schwierigkeiten und mein Anderssein stammen:

Ich habe Asperger Syndrom!

 

Inzwischen kenne ich viele 'Mitbetroffene' und habe unter ihnen viele Freundschaften geschlossen, meist online. Wir haben regelmäßige Treffen, Emailgruppen und Chats, und das ist wunderbar!

 

Mein Abitur habe ich mit 2,8 bestanden, wobei die einzelnen Prüfungen folgendermaßen aussahen:
Biologie: 2
Erziehungswissenschaften: 2- (eigentlich auch zwei, aber dann hätte ich eine mündliche Nachprüfung machen müssen)
Englisch: 2-
Mathe: 1 (und das mündlich!!!)