"Interview"

Dieses Interview entstand im Juni 2001 während einer gemeinsamen Freizeit in Bad-Münstereifel. Wir waren als Gruppe gebeten worden, eine Art "Bericht" für die Autismus-Zeitschrift des Bundesverbandes "Hilfe für das autistische Kind" zu schreiben - da aber aus irgendwelchen unerfindlichen ;-) Gründen niemand einzeln etwas zustande gebracht hat, entschlossen wir uns, aus dem Bericht eine Art "Interview" zu machen - gemeinsam wurden Fragen überlegt, die eventuell von Interesse sein könnten, und jeder überlegte,was er auf diese speziellen Fragen antworten könne. Hinterher wurde das Ganze dann noch "zusammengesetzt".
Das Vorwort stammt von der Leiterin der Ambulanz in Mülheim (sie war allerdings nicht mit auf der Freizeit), die die Räumlichkeiten in Mülheim der Gruppe zu Verfügung gestellt hat, und auch die "Moderation" übernommen hat. Vielen Dank dafür!

Interview:

Asperger- und High-functioning-Autismus

Selbsthilfegruppe im Autismus-Therapie-Zentrum Mülheim
Hilfe für das autistische Kind RV Mülheim-Duisburg e.V

E.Wepil, Mülheim

Zu Beginn des Jahres 2000 meldeten sich in unserem Therapie-Zentrum vermehrt junge Menschen, die z.B. durch das Internet Informationen über den Asperger-Autismus erhalten haben, mit der Fragestellung, ob dieser auf sie zutreffen könnte, und wenn ja, ob es eine Selbsthilfegruppe gäbe.
Eine Autismus-Selbsthilfegruppe - nur für Betroffene - gab es unseres Wissens nach noch nicht. Wir versprachen den Hilfesuchenden, bei genügend Teilnehmern (4-5) die Gründung einer Selbsthilfegruppe zu unterstützen, indem das Therapiezentrum einen Raum und ich mich als Moderatorin zu Verfügung stellen würde.
Im Sommer 2000 waren uns dann 5 junge Menschen, die wir uns als Gruppe zusammen vorstellen konnten, bekannt. Als Moderatorin habe ich ein kleines Konzept entworfen.
Für das erste Treffen wurde der 2. September 2000 verabredet. Dieser Termin wurde von einem Betroffenen, mit der Bitte um Anmeldung, im Internet ausgeschrieben. Es war uns von vorneherein wichtig, daß die Betroffenen selbst die Initiative ergreifen.
Zu unserem ersten Treffen haben sich dann 5 Personen angemeldet und sind auch erschienen.
Das von mir entworfene Konzept hat sich in der Praxis bewährt und ist bis heute nicht verändert worden, da das Vorgehen auch von Seiten der Teilnehmer als hilfreich und für sie angemessen angesehen wurde.
Wir haben uns bis jetzt 8 mal als Selbsthilfegruppe getroffen. Teilweise waren bis zu 10 Betroffene anwesend. Schon nach wenigen Treffen fielen mir die kleinen Veränderungen in der Gruppe auf.
Da auch die Teilnehmer sehr positive Rückmeldungen über diese Treffen abgaben, regte ich eine Veröffentlichung - über die gemachten Erfahrungen in der Gruppe - an. Der Vorschlag wurde gerne aufgegriffen und das Ergebnis können Sie im Anschluss lesen.

Frau Wepil (>>Hilfe für das autistische Kind<<, Mülheim, Ruhr) machte uns den Vorschlag, einen Artikel über unsere Erfahrungen als Teilnehmer dieser Selbsthilfegruppe für die Verbandszeitschrift zu schreiben. Daraus wurde schließlich die Idee geboren, ihn gemeinsam in Form eines Interviews zu verfassen. Das nachfolgende Interview entstand während einer gemeinsamen Freizeit in der Eifel.

Wie hast Du vom Asperger Syndrom erfahren?
D: Ich habe nach einem Spielfilm, der von einem autistischen Jungen handelte, das ganze Internet durchsucht darüber und bin dabei an englischen Texten am 'Asperger Syndrom' hängen geblieben - weil das einfach irgendwie auf mich passte - nicht 'perfekt', aber doch wesentlich mehr als alles andere, was ich mir zuvor in psychologischen Büchern durchgelesen hatte ...
F: Ich bin im Internet darauf gestoßen.
O: Beim Arte Themenabend fand ich mcih in der Beschreibung von Temple Grandin in vielen Punkten wieder.
M: Auf der Reha-Messe in Düsseldorf am Stand des Bundesverbandes
>>Hilfe für das autistische Kind<<.
C: Bei der Lektüre eines Fachbuches zum Thema.
W: Eine Freundin erzählte mir davon.

Was bedeutet für Dich die Erkenntnis, dass Du Aspie bist - oder Du vom Asperger Syndrom betroffen bist?
D: Dass ich endlich weiß, warum ich so anders bin - warum ich mich nie so richtig zugehörig gefühlt habe, sondern immer das Gefühl hatte, irgendwie 'außerirdisch' zu sein - abgesetzt auf einem Planeten mit den Worten 'So, jetzt guck mal selber, wie Du klarkommst' ...
M: Irgendwie habe ich es immer geahnt. Nun gibt es plötzlich einen Sinn. Es ist, als hätte ich viele passende Puzzlesteine gefunden.
F: Wie es schon jemand ausgedrückt hat, es ist wie nach Hause kommen... plötzlich macht alles Sinn... und man merkt endlich, dass man nicht alleine ist damit.
O: Es bedeutet, dass ich mir nun viel öfter verzeihen kann, und weniger Vorwürfe mache, wenn mir etwas schwer fällt. Außerdem fange ich an zu begreifen, wie viel mehr Sinn es macht, wenn ich mich eher auf das konzentriere, was ich kann, als auf das, was ich nicht kann - weil ich anfange es zu akzeptieren.

Wie hast Du von der Gruppe erfahren?
W/F/D/R: Durch das Internet. M. schrieb einen Hinweis in das Forum von der Autismusambulanz Linker Niederrhein (http://www.autismus-online.de).
M: Frau Wepil rief mich an und schlug mir vor daran teilzunehmen.
O: Um herauszufinden, ob ich etwas mit AS zu tun haben könnte, vereinbarte ich einen Termin mit Frau Wepil. Sie erzählte mir zum Ende des Gesprächs von der geplanten Selbsthilfegruppe und bot mir an am ersten Treffen teilzunehmen.

Was hat Dich veranlasst, an den Treffen der Selbsthilfegruppe teilzunehmen?
M: Ich wollte mit meinen Problemen nicht alleine sein.
D: Neugier, zu wissen, ob ich wirklich 'dazu' gehöre. Außerdem wollte ich gerne eine Gruppe haben, wo ich endlich mal so verstanden werde, ohne lange Erklärungen, wie ich halt bin ...
C: ich habe nach Kontakten zu Leuten mit ähnlichen Schwierigkeiten gesucht.
O: Ich wollte herausfinden, ob AS auf mich wirklich zutreffen könnte.

Wie empfandest Du Dein erstes Treffen mit der Gruppe?
D: Es war sehr anstrengend - aber auch sehr interessant! Ich habe zuerst kaum den Mund aufgemacht und erstmal die Vorstellungsrunde an mir vorbeiziehen lassen. Mit der Zeit habe ich immer interessierter zugehört - ich hatte ja erst einmal zuvor eine andere Aspie 'live' getroffen, und fand es doch sehr faszinierend, wie sehr man sich ähnelt. Die zwei Stunden waren allerdings das Maximum, was ich an gebündelter Aufmerksamkeit aufbringen konnte - man kannte ja auch noch niemanden, und ich war sehr unsicher ...
W: Es war aufwühlend andere zu treffen, denen es genauso geht, andererseits aber auch erleichternd.
F: Ich war sehr nervös, wusste nicht, was auf mich zukommen würde, brauchte viel Zeit, mich durchzuringen hinzugehen. Dann aber beeindruckte es mich, so viele andere kennen zu lernen, die mir so ähnlich sind.
O: Ich fühlte mich sehr aufgewühlt und unsicher.
M: Etwas erschreckend - so viele Sachen wurden in mir aufgeweckt.
C: Ein sehr befreiendes Gefühl.

Wie fühlst Du Dich in der Gruppe?
F: Es war, als hätte ich zum ersten Mal von meinem Standpunkt aus normale Menschen kennengelernt.
M: Es ist wie nach Hause kommen.
C: Ich fühlte mich verstanden und akzeptiert.
O: Ich habe das Gefühl, man versteht besser, was ich von meinen Problemen erzähle.
D: Man muss sich nicht immer wie sonst für alles, was man tut, rechtfertigen bzw. man hat nicht das Gefühl, dass die anderen alls merkwürdig finden, was man tut - oder auch nicht tut. Man wird akzeptiert, ohne das Gefühl zu haben, sich für sein Tun rechtfertigen zu müssen.

Haben sich Deine Erwartungen an die Gruppe erfüllt?
Alle: Ja!
D: Ich weiß gar nicht genau, was ich erwartet habe - ich glaube, ich habe einfach erwartet, Leute zu treffen, die mir ähnlich sind - weiter habe ich zu Anfang nicht gedacht. Ich 'wollte' auch ehrlich gesagt nicht zu hohe Erwartungen haben, um nicht hinterher enttäuscht sein zu müssen. Das wenige, was ich erwartet habe, wurde aber bei weitem übertroffen!

Worüber sprecht ihr in der Gruppe?
D: Über Chaos und Ordnung - und Grümde, warum man es oft einfach nicht schafft, Motivation aufzubringen, selbst für wichtige Dinge. Aber auch über persönliche Stärken haben wir mal versucht zu reden - wobei man es doch irgendwie immer wieder schafft, auf das Thema 'Schwierigkeiten' zurückzukommen - Schwierigkeiten mit den Mitmenschen, mit sich selber - manchmal ist einem das eigene Verhalten halt peinlich - mit Situationen, die überlastend wirken, man es aber oft zu spät merkt, sensorische Schwierigkeiten, und und und ...
M: Oft sind es Alltagsdinge, worüber wir erzählen. Wichtig ist mir auch der Erfahrungsaustausch im Umgang mit Medizin, Hilfsmitteln etc. Manchmal steht eine Frage im Raum, und alle suchen intensiv nach einer Antwort.
F: Über fast alles, von Aufräumen, Berufswahl bis hin zu Wahrnehmungsstörungen ...
O: Wir sprechen über Themen, die uns schon ewig beschäftigen, jetzt aber endlich von anderen auch verstanden werden.

Welche Themen sind Dir in der Gruppe wichtig?
D: wichtig ist mir jedes Thema, bei dem ich spüren kann, dass ich nicht alleine bin, dass andere da genauso dran zu knacken haben wie ich.

Fühlst Du Dich anders oder besser mit der Gruppe?
Alle: Man gehört zum ersten Mal im Leben wirklich >>dazu<<.
O: Ich fühle mich tolerierter und kann mir mehr erlauben, mich so zu geben, wie ich bin.
M: Angenommen. Mein Selbstvertrauen ist größer geworden.
R: Trotz meiner kleinen Fehler, die mir auch selbst nicht auffallen, fühle ich mich in der Gruppe akzeptiert.
D: Seitdem bin ich unternehmungslustiger. Ich glaube auch, ich habe noch nie zuvor soviel gelacht und Spaß gehabt - klar, zwischendurch früher immer mal, aber jetzt ist das viel mehr.
W: Es hat sich in meinem Leben eine enorma Dynamik entwickelt.
C: Für meine Mitmenschen bin ich erträglicher geworden.
F: Ich bin viel lockerer im Umgang mit anderen Menschen geworden und habe mehr Selbstvertrauen. Ich selbst kann mich besser akzeptieren.

Welche Ziele stellst Du Dir für die Gruppe vor?
W: Die Gruppe wird sich erweitern und immer mehr verselbständigen.
M: Weitere gemeinsame Projekte (Buchprojekt, Präsentation der Gruppe auf Fachkongressen - z.B. Trier 2002).
C: Weitere Betroffene zu erreichen und diese beim Aufbau ähnlicher Selbsthilfegruppen mit unseren Erfahrungen zu unterstützen.

Wie stellst Du Dir Deine zukunft vor?
D: Da ich mehr in der Gegenwart lebe, stelle ich mir gar keine Zukunft vor.
O: Generell fällt es mir sehr schwer, Zukunftsperspektiven zu entwickeln.
M: Mir ist es wichtig, künftig mehr zu meinen Problemen stehen zu können und offener damit umzugehen.
C: Gerne würde ich einen Partner finden, der meine Eigenarten akzeptiert.
C/W/F/R: Den genannten Punkten können wir nur zustimmen.

Außerhalb der offiziellen Treffen in Mülheim finden auch weitere Aktivitäten statt. Welche sind das?
Alle: Unsere Webseite www.aspie.net. Hierbei handelt es sich um eine Internetplattform vvon Betroffenen und nur für Betroffene. Besonders in unserem Forum findet ein reger Austausch von Informationen zwischen bereits etwa 110 angemeldeten Mitgliedern statt. Auch in einem Chatraum kann live diskutiert werden.

  • Einzelne Gruppenmitglieder haben eigenen Homepages zum Thema >>Asperger-Autismus<<.
  • Eine Mailingliste und spontane Chats.
  • Ein regelmäßiger Stammtisch.
  • Gemeinsame Freizeiten (gegenseitige Besuche, Pizza essen, Eis essen usw.).

Wer mit uns Kontakt aufnehmen möchte, kann an folgende Emailadresse schreiben: muelheimgruppe@aspiana.de